Der Kater als Philister und Dämon

Michael Knobels Zeichnungen zu E.T.A. Hoffmanns „Lebens-Ansichten des Katers Murr“ sind eine kongeniale Visualisierung des romantisch-satirischen Künstlerromans.

Besprechung von Rudolf Görtler
(Erstdruck: Fränkischer Tag, 9. Mai 2014, S. 23)

„Es ist doch etwas Schönes, Herrliches, Erhabenes um das Leben!“ – „Wilder unbesonnener Mensch!“ Zwischen diesen Polen schwankt E.T.A. Hoffmanns unvollendet gebliebenes Hauptwerk „Lebens-Ansichten des Katers Murr nebst fragmentarischer Biographie des Kapellmeisters Johannes Kreisler in zufälligen Makulaturblättern“, erschienen in zwei Bänden 1819 und 1821.

Der satirische Roman, formal seiner Zeit weit voraus, parodiert einerseits in der Person des schriftstellernden Katers den Bildungsroman der Zeit (etwa Goethes „Wilhelm Meister“), ist andererseits das Bekenntnis des romantischen Universalgenies E.T.A. Hoffmann, das mit seinem Alter Ego Johannes Kreisler die eigene Zerrissenheit thematisiert. Und nebenbei eine adlige Duodez-Kleinstaatlichkeit samt bissig karikierter Hofhaltung der Lächerlichkeit preisgibt.

Die Imaginationen des Fantasten E.T.A. Hoffmann haben namhafte Illustratoren schon immer gereizt. Genannt seien nur Alfred Kubin, Josef Hegenbarth, Michael Mathias Prechtl, der eine „Galerie großer Katzen“ schuf. Michael Knobel, in Ebelsbach lebender Künstler, der (nicht nur) grafische Techniken routiniert beherrscht, hat sich eingehend mit E.T.A. Hoffmann beschäftigt und Zyklen zur „Königsbraut“, zur „Prinzessin Brambilla“, den „Bergwerken zu Falun“ geschaffen, z. T. als aufwändige Radierungen. Für den „Murr“ wählte Knobel eine scheinbar simple Technik: Buntstift-Zeichnungen auf Künstlerpapier, die bis Ende Juli im Bamberger E.T.A.-Hoffmann-Haus zu sehen sind. Es verrät den Meister, was er daraus zu machen verstand!

In den 28 entstandenen Blättern kontrastiert er jeweils Szenen der Murr-Handlung mit solchen der Kreisler-Biografie, sofort zu identifizieren durch den verwendeten Grundton: Da der Kater Murr – Tiecks gestiefelter Kater lässt grüßen – in der Abenddämmerung oder nachts schreibt, ist der Hintergrund der Kater-Bilder stets blau. Die Szenen am Hof von Sieghartsweiler hält Knobel dagegen in einem gebrochenen Orangeton.

Der Knobel’sche Murr, des Künstlers eigenen „felligen Wesen“ nachempfunden, ist kein behäbig vor sich hinschnurrender Stoiker, sondern in den Arbeiten liegt eine ungeheure Dynamik, ja etwas Dämonisches, so an Edgar Allan Poes „Schwarze Katze“ erinnernd. Ein überdimensional großer, aus ungewöhnlicher Perspektive gezeichneter Murr hat vor sich den Männchen machenden Pudel Ponto, der vor dem Würstchenstand Männchen macht, er greift nach dem Heringsskelett, während er sich seine Freundin Miesmies imaginiert, er figuriert als „Dichterfürst“, so die Kunst als Refugium und eine behäbige Bürgerwelt symbolisierend.

Ganz anders die Szenen der Adelsgesellschaft: fiebrig, mit Masken, die Gestalten verzerrt wie im Traum, im Alkohol- oder Drogenrausch, meist als wenig differenzierter Blaubluthaufen geballt. Prinz Hektor tanzt, Julia singt, die Rätin Benzon und die verführerische Prinzessin Hedwiga erscheinen in durchaus auch einmal erotischen Posen. Alles jedoch unwirklich, karikiert, so wie um 1800 der Feudalismus nurmehr eine Karikatur seiner selbst war. Der Kapellmeister in Hoffmanns Manier irrlichtert etliche Male herum und auch Hoffmann selbst als Kobold mit gesträubtem Haar.

Michael Knobel sind wunderbare Zeichnungen gelungen. Nur schade, dass sich kaum mehr ein Verleger finden wird – bibliophile Kleinstverlage ausgenommen –, der den Mut hat, eine erschwingliche „Murr“-Ausgabe mit diesen Illustrationen herauszugeben.