Hans Günter Ludwig: Meister Floh
Die Wechselausstellung war dem letzten größeren Werk E.T.A. Hoffmanns gewidmet, dem „Meister Floh“. In diesem Märchen verarbeitete er den „Frust“ seiner Tätigkeit bei einer Kommission zur Untersuchung „demagogischer Umtriebe“, dabei Gesinnungsschnüffelei karikierend. In den Knarrpanti-Stellen sah sich der preußische Polizeidirektor Karl Albert von Kamptz verunglimpft und ließ das Manuskript beschlagnahmen. Hoffmann schrieb eine glänzende Verteidigung seiner dichterischen Freiheit, musste sich aber mit dem Streichen dieser Passagen abfinden; sie sind von seiner Hand im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz Berlin erhalten. Vor disziplinarischen Maßnahmen bewahrte ihn der frühe Tod.
Das Geschehen oszilliert wie meist zwischen Fantasie und Wirklichkeit. Der Kern kreist um einen verträumten jungen Mann, der Weihnachtsessen für seine verstorbenen Eltern gibt (ähnlich wie später in „Dinner for one“). Er beschert sich selbst den Heiligen Christ (Abbildung), um die Geschenke dann armen Kindern weiterzugeben. Eine scheinbar verschwundene Prinzessin, ein Freund und zwei längst verstorbene Naturforscher spielen eine, respektive mehrere Rollen. Der Titel gebende Meister Floh versorgt den „Helden“ mit einem „Gedankenmikroskop“ (einer Art Lügendetektor). Damit durchschaut dieser die Menschen und darf schließlich gereift sein Röschen heimführen.
Hans Günter Ludwig konzentriert die verwirrende Handlung sehr einfühlsam und feinsinnig in zwölf Bildern, die die Staatsbibliothek Bamberg erworben hat. Er verwendet dafür das Medium, in dem er seinen adäquaten künstlerischen Ausdruck gefunden hat, den Silhouettenschnitt. Dieser erlaubt eine unmittelbar erfahrbare und nachvollziehbare Charakterisierung; als zweite Ebene steht eine kolorierte Hintergrundgestaltung im spannungsreichen Wechselspiel damit.
„Mit Spannung begab ich mich für die Illustrationen zu ‚Meister Floh‘ in Hoffmanns Gedankenwelt, in eine Welt voller Verschachtelungen aus Realität und Fantasie und oft grotesk anmutender Figuren. Sich darin zurecht zu finden, das Märchen in eine Bilderfolge aufzuteilen, war für mich eine sehr spannende und wahrhaft echte Herausforderung.
Der Silhouettenschnitt, verbunden mit einer zweiten Ebene, dem kolorierten Hintergrund, erscheint mir als ein ideales Mittel die Erzählung zu bebildern, vor allem aber zu verlebendigen. Die erste Ebene gibt den Handlungsablauf der Erzählung wieder, lässt ’schräge Typen‘ durch die Lüfte springen und den Protagonisten Peregrinus Tyß von einem sozial isolierten und kindlich jungen Manne hin zu einer seelisch gereiften Figur wachsen.
Die zweite Ebene lässt einen zusätzlich kreativen Spielraum zu, in dem ich weitere Gedankenspiele Hoffmanns oder auch das Umfeld des Geschehens farbig abstrahiert wiedergebe. Somit habe ich die Möglichkeit, eine weitere Erzählebene in die Illustrationen einzubauen. Durch die freie Strichführung in dieser, oder verschieden großer Kreise in leuchtend bunten Farben, entsteht mit dem klassischen biedermeierlichen Silhouettenschnitt ein interessantes Zusammenspiel.
Auch war für mich die Auswahl der zu bebildernden Textstellen von Bedeutung, um die doch manchmal ein wenig verwirrende Erzählung dem Betrachter spannend und schnell fassbar zu präsentieren, denn sehr würde es mich freuen, mit meiner Arbeit Interesse an E.T.A. Hoffmann und seinem Werk zu wecken. Der hier gezeigte Weihnachtsabend des Peregrinus Tyß ist ein Beispiel.
Der ganze Bilderzyklus ist in einem Zeitraum von November 2012 bis Ende Juni 2013 entstanden. Darin enthalten sind die intensive Einarbeitung in die Erzählung, das Entstehen Lassen eigener Gedanken, Skizzen, erste Entwürfe, Farbauswahl und schließlich die Umsetzung.
Bei der Entwicklung und später beim Schneiden der Figuren ist es für mich wichtig, sich in sie einzufühlen, ihre Beweggründe zu verstehen, sie mit all ihren Stärken und Schwächen zu lieben, mit ganzem Herzen bei ihnen zu verweilen, denn nur so werden sie lebendig und lassen uns an ihrem Handeln wirklich teilhaben.“
(Aus der Eröffnungsrede des Künstlers bei der Vernissage am 1. August 2014)
Aufnahmen: Thomas Massler