Die Königsbraut

Das Wissen um Elementargeister geht auf Paracelsus zurück (postum 1566 veröffentlicht). Danach sind diese seelenlose Wesen, den vier Elementen zugeordnet: die Undinen dem Wasser, die Sylphen der Luft, die Gnomen der Erde und die Salamander dem Feuer. Die Elementargeister können mit Menschen in Kontakt treten, um sich mit ihnen zu vermählen. Dies ist die einzige Möglichkeit für sie, eine Seele und damit die Unsterblichkeit zu erlangen.

Hoffmanns Interesse an der Thematik hängt mit den naturphilosophischen Studien insbesondere von Gotthilf Heinrich Schubert und Friedrich Wilhelm Schelling zusammen. Es führte nicht nur zu einer eigenen Erzählung „Der Elementargeist“, sondern auch zu entsprechenden Gestaltungen in „Der goldne Topf“ und – am bekanntesten – in der Oper „Undine“, nach dem Text von Fouqué. Sagen- und Märchenmotive kommen in der „Königsbraut“ hinzu. „Entscheidend ist freilich, dass Hoffmanns Text diese romantische Naturphilosophie zwischen spekulativer Physik und Parawissenschaften nicht mehr in ihren affirmativen Ansprüchen gelten, sondern ironisch gebrochen auftreten lässt. Sie wird zum Gegenstand des Komischen; die sublime Naturspekulation schlägt ins Lächerliche um“ (Kilcher/Burkhard, in: De Gruyter Lexikon E.T.A. Hoffmann, 2009, S. 330f.). Hoffmann konfrontiert die praktische und dämonische Magie mit der metaphorischen Magie der Poesie; diese vertreibt schließlich die Elementargeister. Die (triviale) Außenwelt setzt die (phantastische) Innenwelt in Bewegung, die Duplizität beider bleibt gewahrt.

In Deutschland wurde die Bedeutung der „Königsbraut“ lange nicht erkannt, anders in Frankreich. Théophile Gautier lässt den Mohrrübenkönig in einer Erzählung von 1863 wieder auftreten und Charles Baudelaire behandelt die „Königsbraut“ in seinem epochemachenden Essay über das Lachen neben der „Prinzessin Brambilla“ als mustergültiges Beispiel des „absolut Komischen“. Das kann man bei der Lektüre nachvollziehen, wenn z. B. in der ländlichen Gemüsegartenwelt im Gefolge des Gnomenkönigs auch vier Kammerherren auftreten. Der König wird zunächst als Baron Porphyrio von Ockerodastes, genannt Korduanspitz, eingeführt. Die vier Paladine repräsentieren verschiedene „Nationen“ und sind entsprechend gekleidet: Pan Kapustowicz aus Polen, Herr von Schwarzrettig aus Pommern, Signor di Broccoli aus Italien, Monsieur de Roccambolle aus Frankreich …

Es kann hier nicht um eine umfassende Interpretation des vielschichtigen Werks gehen, das heute als eines der skurrilsten, aber auch der avantgardistischsten von Hoffmanns Märchen gilt. Unter der neuesten Literatur sei nur der Beitrag von Rainer Toelle über E.T.A. Hoffmann als Psychopathologe (2012) erwähnt, der die „Königsbraut“ und andere Erzählungen Hoffmanns als medizinische Fallberichte auswertet. Er konstatiert bei Dapsul von Zabelthau „eine chronisch verlaufende Psychose ohne Exazerbationen, aber mit ausgeprägt sonderlinghaften, absurden und wahnhaften Denk- und Handlungsweisen und wechselhaftem Verlauf (auch Psychosen dieser Art werden in der heutigen psychiatrischen Klassifikation der Gruppe der Schizophrenien zugerechnet)“. Seine Tochter Ännchen von Zabelthau hängt dagegen Tagträumen nach. Die von dem Psychopathologen zitierten Stellen zeigen, „wie Tagträume phantastisch, ja märchenhaft sein können, zumal in dichterischer Darstellung. Der Einstieg in die Tagtraumwelt und entsprechend der Ausstieg bzw. Überstieg (zurück in die Realität) sind fließend, aber doch deutlich auszumachen“. Sinn und Funktion des Tagträumens ist für Hoffmann die „Überwindung einer Reifungskrise“. Außerdem stellt er dar, dass die Psychose wie selbstverständlich hinzunehmen ist – das erweist also die Modernität seiner medizinischen Therapie-Anschauungen.

Diese Anamnese ist natürlich nicht alles, und vor allem soll sie niemanden des Lesevergnügens berauben! Hingewiesen sei nur auf einen anderen Aspekt, auf die Bezüge aus Hoffmanns Bamberger Zeit. Hanns Dennerlein stellte 1951 fest, dass das Märchen „ganz und gar in der Bamberger Erde wurzelt“, „eine einzige Verherrlichung der Bamberger Gärtnerwelt“ ist. Das wird den Kennern vielleicht als etwas zuviel Lokalpatriotismus erscheinen.

Hoffmann evoziert in dem Leser „den schönen Grund, […] den der freundliche Main durchströmt“ und gibt damit einen Fingerzeig auf Franken. Den Namen Zabelthau kann man als Kombination von Zabelstein und Wiesenthau ansehen und Dapsul enthält den in Bamberg gebräuchlichen abwertenden Bestandteil „Dap“. Der runde Turm inmitten des Burghofs und die ganze Beschreibung könnte die Altenburg sein, aber auch Burg Lisberg. Sprechend im wahrsten Sinne des Wortes ist das Sprachrohr, mit dem Dapsul vom Turm, dem Bergfried, mit seiner Tochter kommuniziert. Bekanntlich hat Hoffmann nach Carl Friedrich Kunzens Überlieferung den Dichter Lafontaine damit als „Wassermann“ verspottet. Das Sprachrohr ist auf der Altenburg erhalten geblieben und befindet sich seit 1975 im E.T.A. Hoffmann-Haus. Neben Erstausgaben und der Tischdecke aus dem Haus Kunz ist es das einzige Original hier.

Hoffmann hat bewusst vielfach reale Sprach- und Sachdetails verwendet, um der Darstellung Lebendigkeit und Überzeugungskraft zu geben. Er hat sie aber mit Phantastischem vermengt, so dass etwas ganz Anderes entstanden ist. Die Gemüsegartenwelt Ännchens ist „nur“ die Grundlage für „höchst ergötzlich“ wirkende Schilderungen, die in ihrer „Detailliertheit, Ausdehnung und Intensität“ „in keinem Verhältnis zu ihrer informativ gehaltlichen Aussagewichtigkeit“ stehen. Baudelaire schon hat das Erscheinen der Gnomen für unübertroffen gehalten: „rien n’est plus beau à voir“. Gisela Vitt-Maucher beschreibt das 1984/1989:

„Ankunft und Gebaren des Gemüsehofstaates, mit einem ganzen Heer von kleinen Reitern, über vierzig winzigen Kutschen und Scharen von kleinen dickköpfigen Pagen, Läufern, Dienern, gleicht einem schwindelerregenden Miniaturballett, einem phantastischen Traumgeschehen in Farben und Bewegungen, dessen einziger Erzählzweck darin liegt, die magische Animierung des Pflanzenreiches konkret zu veranschaulichen.“ Dabei drückt er die Beseelung der Pflanzen in einer Bewegungs- und Gebärden-„Sprache“ aus, die „animierten Gemüse bewegen sich in Versfüßen: ‚[…] und über hundert kleine Herrlein, die den Kutschen und Pferden entstiegen, tanzten […] zum Teil auf den Köpfen, dann wieder auf den Füßen, in den zierlichsten Trochäen, Spondäen, Jamben […], dass es eine Lust war.“ Der Bote „‚reitet’ seine Botschaft ‚in das Erdreich’ mit Bewegungen und sichtbaren Zeichen.“ (S. 137). Die Grundaussage konzentriert: „es geht in diesem Märchen um die angemessene – d. h. ausgewogene und besonnene – Einstellung des Menschen zur ihn umgebenden Natur und um das rechte Verständnis des Menschen zu seiner eigenen Stellung innerhalb dieser Natur“ (S. 141).

Die Königsbraut neu gesehen von Michael Knobel

Der Zeichner Michael Knobel hat 2002 eine eigene künstlerische Interpretation zur „Königsbraut“ geschaffen, nicht etwa eine einfache Textillustration. Er hat auf Jacques Callots Bilderfolge „Zwerge und Gnomen“ zurückgegriffen und in überaus gelungener künstlerischer Gestaltung eine graphische Folge zu der Geschichte entsprechend der literarischen Vorlage inszeniert. Seine graphischen Blätter sind Monotypien kleinster Auflage, bestehend aus einer Kombination von Farbradierungen und Materialabdrucken. Jeder Abzug ist in einem einzigen Walzgang auf der Handpresse entstanden. Die Folge ist in sehr kleiner Auflage verbreitet. Die Bilder in den Wandrahmen sind Leihgaben der Staatsbibliothek Bamberg; in den Vitrinen hat Michael Knobel seine eigenen Belegstücke ausgestellt, Dieter Geimer außerdem die ersten Skizzen.

Die E.T.A. Hoffmann-Gesellschaft stellt die Ausstellung zur Landesgartenschau in Bamberg vor, hat deshalb auch die sonst übliche Zeit der Neueröffnung des Hauses nach der Winterpause, den 1. Mai, um ein paar Tage vorverlegt. Zur Ausstellungseröffnung rezitierte Andreas Ulich eindrucksvoll Texte aus der „Königsbraut“, während Michael Knobel die aufwendige Arbeitsweise mit Wurzeln, Gräsern und den eingeritzten Metallfolien anschaulich erläuterte.